Hans Kasdorf rezensiert drei missionarische Buchtitel

Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn
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Hans Kasdorf rezensiert drei missionarische Buchtitel -

William Carey. Eine Untersuchung über die Verpflichtung der Christen, Mittel einzusetzen für die Bekehrung der Heiden. Übers. und hg. von Klaus Fiedler und Thomas Schirrmacher. Edition AfeM Bd. 1. Bonn: VKW 1993. 98 S.

John L. Nevius. Die Gründung und Entwicklung missionarischer Gemein­den. Übers. und hg. von Wolf Christian Jaeschke. Edition AfeM Bd. 2. Bonn: VKW, 1993. 119 S.

Thomas Schirrmacher (Hg.), „Die Zeit für die Bekehrung der Welt ist reif.“ Rufus Anderson und die Selbständigkeit der Kirche als Ziel der Mission. Mit Texten von Rufus Anderson, Theodor Christlieb, Hermann Gundert, Joseph Josenhans. Edition AfeM Bd. 3. Bonn: VKW, 1993. 134 S.

Hier sind drei Missionsbücher, die trotz ihres klassischen Charakters im deutschsprachigen Raum der Missiologie lange auf sich warten ließen. Mit Ausnahme der von Christlieb, Gundert und Josenhans beigefügten Texte im 3. Bd. erschienen sie ursprünglich im angelsächsischen Sprachraum und in derzeitiger Fassung erst 1993 beim Verlag für Kultur und Wissenschaft in Bonn. Sie werden hier in einer Sammelrezension besprochen.

Bd. 1: Nach seiner Bekehrung und Taufe verwirklichte William Carey (1761-1834) sein breites Interessengebiet, indem er sich als Dorfschuster, Botaniker, Lehrer, Prediger und Sprachforscher zu betätigen begann. Bei allem trug ihn eine brennende Passion für die Bekehrung der Heiden. Er sah sich verpflichtet, die zu seiner Zeit vorherrschende calvinistische An­sicht zu widerlegen, die besagte, daß Gott die Heidenbekehrung zu einer von ihm bestimmten Zeit ohne menschliches Dazutun bewirken werde.

Im Jahr 1792 auf der Jahresversammlung der Baptisten in Northampton hielt Carey seine berühmte Predigt über Jes 54,2-3, in der er das herausfor­dernde Thema entfaltete: „Erwartet große Dinge von Gott; wagt große Dinge für Gott“. Im selben Jahr hatte er schon zur Feder gegriffen, um die calvinistische Denkweise zu bekämpfen und die biblische Missionssache zu fordern. So wie Philip Jakob Speners Pia Desideria 1675 die Pro-grammschrift für eine tiefgründige Neubelebung für den lutherischen Sek­tor des Protestantismus wurde, aus dem der hallesche und württembergi­sche Pietismus aufbrach, wird Careys Untersuchung über die Verpflichtung der Christen, sich für die Bekehrung der Heidenvölker einzusetzen, aus missionsgeschichtlicher Sicht gleichsam als Programmschrift für den Auf­bruch der modernen Weltmission charakterisiert.

Man darf allerdings nicht vergessen, daß die Dänisch-Hallesche Mission des deutschen Pietismus schon seit 1706 bei Tranquebar in Südindien mis­sionierte und somit als die eigentliche Pioniermission der modernen Zeit zu bezeichnen wäre. Auch die verschiedenen Missionsunternehmen der Herrnhuter Brüdergemeine unter Zinzendorfs Leitung dürfen nicht übersehen werden. Allein die Tatsache, daß diese relativ „kleine Herde“ der Unitas Fratrum zwischen 1732 und 1752 - also in 20 Jahren - mehr Missionare ausgesandt hatte als die gesamte protestantische Kirche in 200 Jahren, spricht für eine geistliche Dynamik der modernen Mission schon lange vor Carey. Das hat Carey selbst nachgewiesen, besonders im 2. Kapitel seines Buches (S. 36f; vgl. S. 12).

Der besondere Verdienst dieser Schrift liegt in ihrem klaren biblisch-hi­storischen Bekenntnis zur Weltmission. Zu Careys Zeit waren protestanti­sche Theologie und Kirche - mit wenigen Ausnahmen - von einem anti-missionarischen Denken durchsetzt. Man argumentierte, daß der Missions­befehl auf die Apostel beschränkt gewesen sei, daß diese ihn im Gehorsam ausgeführt hätten und daß die Gemeinde Jesu von heute allen missionari­schen Verpflichtungen enthoben sei. Punkt für Punkt widerlegt Carey diese Argumente und weist nach, daß der Missionsauftrag Jesu für die Gemeinde aller Zeiten verbindlich bleibt.

Im Anhang von 21 Seiten demographischer Tabellen macht Carey deutlich, daß die Mehrheit der Völker noch nie das Evangelium gehört hat. Er weist überzeugend nach, daß selbst sogenannte „Christen“ in Mittelmeerländern „noch unwissender und lasterhafter als die Mohammedaner“ leben; daß sich „in den meisten christlichen Ländern ... ein schreckliches Bild von Unwissenheit, Heuchelei und Verworfenheit“ bietet; daß noch nie dagewe­sene praktische Möglichkeiten zur Bekehrung der Heiden vorhanden sind; und daß es die Pflicht der Christen ist, entsprechende Mittel zur Förderung dieses dringenden Werkes einzusetzen. Selbst nach mehr als 200 Jahren seit der Ersterscheinung bleibt dieses Buch herausfordernd und motivie­rend, besonders dann, wenn man gleichzeitig eine Biografie über Careys missionarisches Werden und Wirken liest. Denn Carey war Praktiker mehr noch als Theoretiker.

Der 2. Bd. in dieser Reihe ist eine Sammlung von Artikeln, die der ameri­kanische Chinamissionar John L. Nevius (1829-1893) schon 1885 im Chi­nese Recorder veröffentlichte und damit großes Aufsehen erregte. Fünf Jahre später wurde er von 7 jungen Missionaren nach Korea eingeladen. Sie wollten bei diesem erfahrenen Mann Gottes eine zweiwöchige Schu­lung in Missionsmethode erleben. Aus jenen Artikeln und dieser Schulung entstand bald darauf das epochemachende Buch, Planing and Develop­ment of Missionary Churches, das immer noch aufgelegt wird und in vielen Missionschulen als Pflichtlektüre gilt. Nevius beginnt sein Werk mit Kritik am alten System. Für ihn galt ein zweifaches Kriterium: Zunächst die „Eignung im Blick auf das ins Auge gefaßte Ziel“, was an der Herrlichkeit Gottes zu messen ist. Dann die „Übereinstimmung mit der Norm der Schrift“, welche an den von „Aposteln angewandten und in der Bibel nie­dergelegten Prinzipien und Praktiken“ gemessen wird. Seine Erlebnisse in der Provinz Shan-tung, meint Nevius, seien lediglich eine Bestätigung des­sen, was nach seiner Überzeugung die Bibel lehrt. Er gibt aber ausdrück­lich zu, daß er „nicht mit der Autorität eines Mannes spreche, der die end­gültige Lösung gefunden hat“. Dieser Demutszug des Autors zieht sich durch das ganze Buch und bekräftigt nur noch dessen Inhalt.

So wie Rufus Anderson und Henry Venn vor ihm das „Drei-Selbst-Prin­zip“ von Self-governing, Self-supporting und Self-propagating formuliert hatten und wie Roland Allen nach ihm in einem Buchtitel von der Sponta-neous Expansion of the Church nach biblischen Grundsätzen sprach, so rang Nevius um eine Missionsmethodik, in der das Biblisch-Praktische konkret herausgestellt werden könnte. Dem Herausgeber ist es gelungen, die Grundzüge nach sechs geordneten Punkten zusammenzufassen, die ich hier in Stichworten widergebe:

Zeugnisgeben. Alle Christen sind natürliche Zeugen, was durch keinen finanziellen Anreiz kompromittiert werden darf.

Stationsleitung. Alle Stationsleitung geschieht ehrenamtlich durch Einheimische. Kein Missionar ist Pastor vor Ort.

Stationsvisitation. Alle Besuche sind durch umherreisende Missionare, sowie durch einheimische Berufstätige zu unternehmen.

Bibelstudium. Alle Stations- und Gemeindemitglieder treiben gemeinsam, zu zweit, oder einzeln intensives Bibelstudium.

Unabhängigkeit. Alle entstehenden Gemeinden sind nicht der Mission, sondern nur der einheimischen Kirche gegenüber verantwortlich.

Selbständigkeit. Alle Stationen funktionieren von Anfang an ohne finanzielle Starthilfen und Zuschüsse von der Mission.

Daß Nevius seine Kritik an vorhandenen Missionsmethoden nicht bei allen Missionaren beliebt machte und daß seine eigenen Methoden in Chi­na nicht immer Erfolg hatten, braucht kaum erwähnt zu werden. In Korea aber fanden sie großen Beifall. Nach mehr als hundert Jahren schreiben Missionswissenschaftler das erstaunliche Wachstum der koreanischen Kir­che der Nevius-Methode zu.

Bd. 3: Wie im Titel schon angesagt wird, handelt es sich in diesem Band um eine Sammlung von missionswissenschaftlichen Beiträgen, die Rufus Anderson (1796-1880) in den Mittelpunkt rücken. Und das mit Recht. Denn keiner hat bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts die amerikanische Missionswissenschaft so tiefgehend geprägt wie Anderson. Daher täte man dem Herausgeber kein Unrecht, wenn man dem Leser riete, die Lektüre dieses so wichtigen Buches auf Seite 77 zu beginnen. Erst da erscheint der erste Anderson-Text. Überhaupt werden diesem planvollen Impulsgeber der angelsächsischen Missiologie von den 134 Buchseiten nur knapp 57 einge­räumt. Das finde ich enttäuschend.

Das Buch wird in drei Hauptteile gegliedert. Im ersten und längsten Teil gibt der Herausgeber einen wertvollen Überblick über das Leben, Wirken und Denken Andersons, der fast 40 Jahre als Sekretär des American Board of Commissioners for Foreign Missions, dem ersten und größten Missions­werk Amerikas, diente. Zu diesem Teil gehört auch eine Anderson-Biblio­graphie (S. 32) sowie eine Auflistung der schriftlichen Beiträge über An­derson (S. 33), eine weitere Liste von verwendeten Werken (S. 35f) und ein Kommentar über Andersons Bedeutung in der Missionswissenschaft Theodor Christliebs und Gustav Warnecks (S. 37-48). Der Wert dieser Bei­träge liegt außer in den Kommentaren in der Angabe der verwendeten Litera­tur mit detaillierten historischen und missiologischen Erklärungen in den 129 Fußnoten, die oft mehr Platz beanspruchen als der Text, aber den inter­essierten Missionswissenschaftler vor Langeweile bewahren.

Im 2. Teil werden dem Leser drei Texte deutscher Stimmen aus dem 19. Jahrhundert über Anderson vermittelt. Zunächst hören wir Theodor Christ­lieb (1833-1889), den Mitherausgeber der von Warneck und R. Grundemann 1874 begründeten Allgemeinen Missions-Zeitschrift. In Christliebs Nachruf wird Anderson als „der weiseste Mann in Amerika“ erklärt und als einer, der

„mehr über Mission als irgendwelcher lebende Mann“ wisse, gepriesen. Christlieb selbst würdigt ihn als einen Großen unter Missionsfreunden, -historikern, -Wissenschaftlern und -führern, der immer mit „Ruhe und Um­sicht“ das abgewogene Urteil zu fällen wußte. Missionar Hermann Gundert (1814-1893) schreibt, daß Anderson gelernt habe, der Missionstheorie des großen Heidenapostels als der besten nachzustreben. In seiner Rezension der Geschichte der Mission auf den Sandwichinseln weist der Basler Missi­onsinspektor Joseph F. Josenhans (1812-1884) auf Andersons Verdienste hin. Dank seiner Methode, sagt Josenhans, sei es dort während einer 50jährigen Missionsarbeit nicht nur zur Bekehrung einzelner Seelen, sondern zur „Bildung selbständiger nationaler Kirchen“ gekommen.

Um Andersons Beitrag in seiner Tiefe zu schätzen, weise ich abschlie­ßend auf die vom Herausgeber gewählten 5 Aufsätze hin, wozu auch die eben genannte Geschichte zählt. In dieser Auswahl behandelt Anderson solche relevanten und aktuellen Themen wie diese: „Soll ich als Missionar zu den Heiden gehen?“; „Über die frühe Entscheidung, Missionar zu wer­den“; „Die charakteristischen Merkmale der apostolischen Mission“; und „Die Zeit für die Bekehrung der Welt ist reif“.

Diese drei Bücher sollten in keiner christlichen Bibliothek an Ausbil­dungsstätten und in Gemeinden fehlen. Motivation zur Weltmission kommt durch Information und die Information durch das Lesen herausfordernder Lektüre.

Hans Kasdorf


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