Inka und Torsten Marold: Immanuel: Geschichte der Geburt eines anenzephalen Kindes (Rezension)

Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn
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Inka und Torsten Marold:  Immanuel: Geschichte der Geburt eines anenzephalen Kindes (Rezension) -

Inka und Torsten Marold. Immanuel: Geschichte der Geburt eines anenzephalen Kindes. Aktion christli­che Gesellschaft 1. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 80 S.

Der Titel des Buches sagt eigentlich alles Wesentliche schon aus: Ein kleiner Junge mit Namen Imma­nuel, dem ein großer Teil des Gehirns fehlt, wird geboren (und stirbt 25 Stunden nach der Geburt). Das Buch ist zusammengesetzt aus Beiträgen der verschiedenen betroffenen Personen: beider Eltern, der Hebamme, der Ärztin des Seelsorgers und einer Freundin. Es wird (zum Teil in Tagebuchform) beschrieben, wie der Mutter bei einer Ultraschalluntersuchung im Krankenhaus die Diagnose mitgeteilt wird und welche Gefühle und Gedanken die genannten Personen dann im Verlauf der Schwangerschaft und bei der Geburt und beim Tod von Immanuel hatten.

Zur Bedeutung des Buches

Mir persönlich erscheint das Wichtigste an diesem Buch aber nicht irgendein Einzelaspekt zu sein. Die im Buch erzählten Details haben m.E. vielmehr die Funktion eines Beweises, den man liefern muß, um die Hauptbotschaft auszusagen. Und die Hauptbotschaft ist das Geschehen als Ganzes und der Angriff, den dieses Geschehen auf unser Denken bedeutet. Das eigentlich entscheidende dieses Buches ist, daß es ein grundlegendes Paradigma unseres Weltbildes, unseres Menschenbildes, unserer Ethik sprengt.

Die derzeit übliche Praxis und deren Grundlagen

Im Medizinerjagon werden ungeborene Kinder ohne Gehirn zum "Anenzephalus" versachlicht, das heißt wörtlich übersetzt zum "Ohn-Hirn". Lebensfähig sind diese Kinder ohnehin nicht, also werden sie abgetrie­ben, das ist jedem Mediziner so klar wie etwas nur klar sein kann. Aber warum eigentlich? Warum ist die­ser Fall eigentlich so klar?

Nun, ich denke, weil wir heute unsere Menschenwürde vor allem durch unsere geniale Gehirnleistung, also die Vernunft oder Intelligenz definieren. Dieses Denken entspringt dem Geist der Aufklärung und der Französichen Revolution, die die Vernunft als Göttin verehrte. Der Name, den die moderne Biologie uns Menschen gegeben hat, spiegelt dieses Selbstverständnis wider: Homo sapiens sapiens Der weise weise Mensch.

Diese Definition erfüllt ein Mensch ohne Großhirn natürlich nicht und hat deswegen - so diese weitver­breitete Vorstellung - keine Menschenwürde.

Gelebte Antithese und deren Grundlage

Die Geschichte von Immanuel zeigt aber, daß dieses Weltbild nicht das einzige mögliche - ja sogar schlichtweg falsch ist. Unser aller Ängste vor einem behinderten Kind sind ebenso irrational, wie die Angst der Seeleute früherer Jahrhunderte, am Rand der Erdscheibe in die Tiefe zu stürzen. Der Entschluß der Marolds, Immanuel nicht vor seiner Geburt zu töten, durchkreuzt unser Weltbild totaler und radikaler als jede noch so geniale Argumentation. Durch ihre Tat "behaupten" Marolds: Unser Menschenbild ist falsch. Sie behaupten: Unser Sohn ist ein Mensch, auch wenn er kein Großhirn besitzt.

Und die Bibel gibt ihnen Recht: Denn dort erhält der Mensch seinen Wert nicht durch seine Intelligenz oder seine Vernunft, sondern dadurch, daß er das Ebenbild Gottes ist. Die korrekte Bezeichnung unserer Spezies wäre demnach: Homo imago dei, der Mensch, das Ebenbild Gottes.

Liebevoll - gegen die Abtreibung

Ein interessantes Detail möchte ich zu diesem Buch noch anmerken: In der Diskussion um das Für und Wider der Abtreibung, wird oft der Eindruck erweckt, als seien Abtreibungsgegner selbstgerechte schein­heilige Typen (insbesondere natürlich die Männer), die sich an den wirklichen Problemen der Betroffenen nicht die Finger schmutzig machen wollen, aber mit überhöhten moralischen Forderungen anderen das Le­ben schwer machen.

Die Marolds, die Immanuel bekommen haben, sind entwaffnend anders: Sie haben (zumindest in ihrem Buch) nicht darüber reflektiert, ob diese Tat ein Weltbild auf den Kopf stellt, ob es hunderttausende ja Mil­lionen von Abtreibungen in's Unrecht setzt. Ihnen war völlig egal, ob ihr Entschluß Tausende von Gynäko­logen und deren Helfer anprangert. Sie hatten kein Interesse an ideologischen Grabenkriegen. Sie wollten nur eins: Ihr Kind lieben, mütterlich und väterlich Zuwendung geben und zärtlich ein kostbares Geschenk aus Gottes Hand annehmen. Gerade diese völlige Harmlosigkeit der Marolds dürfte die Wirksamkeit des Buches potenzieren und viele Leser offen machen für einen Gedanken, den die Mutter Inka Marold formu­liert, und der für mich die tiefste Aussage dieses Buches ist:

"Immanuel war für mich ein ganz großes Erlebnis. Es scheint mir so, als wenn Gott selbst von Anfang an in ihm mächtig gewesen ist und er nur gelebt hat, um uns zu sagen, daß Gott allezeit mit uns ist und über uns wacht.
Immanuels Lächeln - ein Gruß,
ein Lächeln seines und unseres Gottes."

Wie wahr. In diesem Baby ohne Gehirn, das - wie wir alle - Ebenbild Gottes ist, lächelte uns in gewissem Sinne Gott selber zu. Ecce Homo! Seht welch ein Mensch!

Immanuel, das heißt: Gott ist mit uns! Ist das nicht wunderbar?

Dr. med. Carsten Hobohm


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