Hans-Georg Wünch in Jahrbuch für evangelikale Theologie
Klaus Schirrmacher; Thomas Schirrmacher; Ingrid von Torklus (Hrsg.). Baumeister bleibt der Herr: Festgabe zum 80. Geburtstag von Prof. Bernd Schirrmacher. Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft, 2001. Br., 336 S.
Das vorliegende Buch ist ein Sammelband zu Ehren des Gießener Professors Bernd Schirrmacher, der von seinen Kindern Klaus und Thomas Schirrmacher sowie Ingrid von Torklus, geb. Schirrmacher, herausgegeben wurde. Es handelt sich dabei um ein sehr persönliches Buch, weniger um eine Festschrift im eigentlichen Sinne. Von daher finden sich unter den Abhandlungen nicht nur Artikel mit wissenschaftlichem Anspruch, sondern auch biographisch-historische Beiträge, Briefe, Zeitungsartikel sowie persönliche Erinnerungen und Grüße von Familienangehörigen und Freunden. Außerdem sind mehrere Beiträge von Prof. Bernd Schirrmacher selbst, die aus früheren Veröffentlichungen entnommen wurden, in dem Buch enthalten.
In dieser Rezension soll auf einige der Aufsätze von Gratulanten eingegangen werden, die interessante pädagogisch-theologische Themen behandeln. Zu diesen Hauptbeiträgen des Buches gehören die Artikel von Prof. Helge Stadelmann und Dr. Stephan Holthaus zur Pädagogik August Hermann Franckes und seiner Bedeutung für heute, von Dr. Thomas Schirrmacher über den früheren Pietismus an der Gießener Universität, von Dozent Wilhelm Faix über Autorität und Freiheit in der Erziehung sowie von Dr. Christine Schirrmacher über Kindererziehung und Familienwerte im Islam.
In seinem kirchengeschichtlich orientierten Artikel über „Die Pädagogik August Hermann Franckes" macht Holthaus deutlich, dass Franckes Pädagogik in mancherlei Hinsicht für die nachfolgenden Jahrhunderte von großer Bedeutung geworden ist. Besonders die „Abschaffung von Standesschranken, die Vorbildfunktion des Lehrers und der Eltern sowie die ganzheitliche Erziehung zur Gottesfurcht und zur Klugheit" wird dabei hervorgehoben (S. 26). Dabei betont Holthaus, dass das weit verbreitete Bild einer so genannten „Prügelpädagogik" bei Francke mit den historischen Fakten nicht übereinstimmt und „dringend revidiert werden" muss (S. 27).
Stadelmann zieht in seinem Artikel „Top Ausbildung auf allen Ebenen: Was Evangelikale heute von August Hermann Francke lernen können" Folgerungen aus dem Leben und Wirken des Hallenser Theologen. Besonders seine Betonung, „Bildung aus dem Glauben" sei „ein wesentlicher Schlüssel zur Prägung des Einzelnen und zur Veränderung von Kirche und Gesellschaft" (S. 35) ist nach Stadelmann auch für uns heute ein grundlegender Ansatz für eine positive Veränderung. Francke hatte zu diesem Zweck geplant, eine christliche Hochschule einzurichten, was allerdings aus verschiedenen Gründen „nicht über eine erste Vorstufe ... hinaus" gekommen war (S. 37). Stadelmann sieht in diesem Grundansatz Franckes, nicht bei einer christlichen Schulbildung stehen zu bleiben, sondern auch eine christliche Hochschulbildung anzustreben, einen wesentlichen Ansatzpunkt für die Aufgabenstellung von Evangelikalen heute (S. 36). Nachdem in den letzten Jahren und Jahrzehnten viele christliche Schulen (Bekenntnisschulen) in Deutschland gegründet wurden, sei es wesentlich, nun auch die andere Vision Franckes aufzugreifen und für eine christliche Hochschulausbildung einzutreten (S. 38).
Thomas Schirrmacher schließt in seinem Artikel „Die erste pietistische Universität in Gießen" an diesen Gedanken an, indem er auf die Zeit von 1688 bis 1760 hinweist, in der die Universität in Gießen eine stark vom Pietismus geprägte Einrichtung war. Dies ist, so Schirrmacher, heute kaum noch bekannt (S. 39). Es geht zurück auf den Einfluss von Philipp Jakob Spener, dem es seit 1688 gelungen war, zunehmend pietistisch geprägte Professoren an der Universität in
Gießen unterzubringen (S. 40). Leider war diese Phase jedoch nicht von Dauer, sondern endete, nachdem die bis dahin stark pietistisch geprägte Landgrafenfamilie sich vom Pietismus abgewandt hatte, mit dem Tod von Christoph Matthäus Pfaff im Jahre 1760 (S. 40). Schirrmacher sieht in dieser pietistischen Vergangenheit der Universität Gießen auch einen wichtigen Ansatzpunkt für die weitere Entwicklung der Freien Theologischen Akademie Gießen (S. 41).
Nach diesen eher kirchengeschichtlich ausgerichteten Beiträgen folgen nun einige pädagogische Artikel. Besonders wichtig ist dabei sicher der Beitrag von Wilhelm Faix über „Autorität und Freiheit in der Erziehung". Faix zeigt zunächst einige Autoritätsprobleme in der gegenwärtigen Erziehungspraxis auf (S. 42-44) und wendet sich dann einer positiven Definition des Begriffes „Autorität" zu. Besonders betont er in diesem Zusammenhang, dass Autorität immer ihren Ursprung in Gott selbst hat: „Der Mensch hat immer nur so viel Autorität, wie er sie von Gott verliehen bekommen hat" (S. 44). Die elterliche Autorität, so Faix weiter, muss zugleich eine „Amtsautorität", eine „Sachautorität" und eine „Persönlichkeitsautorität" sein, wobei letzteres für Faix die eigentliche Autorität ist (S. 45f). In einem dritten Schritt geht Faix nun der Frage nach, wie Eltern ihre Autorität gewinnen. Auch hier macht er deutlich, dass dies vor allem durch die persönliche Beziehung und das Vorbild der Eltern geschieht (S. 46-49). Dann wendet sich Faix der Frage zu, wodurch elterliche Autorität gehindert oder zerstört wird und benennt eine Anzahl von Gründen (S. 49-51), bevor er schließlich in einer Art Zusammenfassung versucht, das Verhältnis zwischen Freiheit und Autorität in der Erziehung konstruktiv zu bestimmen (S. 51) und anhand von Eph. 6,1-4 zu verdeutlichen (S. 52-54). Wichtig ist, so Faix, dass sich elterliche Autorität von den Merkmalen der göttlichen Autorität bestimmen lässt: „Barmherzigkeit, Vergebung, Liebe und vertrauensvolle Beziehung" (S. 54).
Der Artikel von Christine Schirrmacher, „Kindererziehung und Familienwerte im Islam" schließlich schildert die Stellung der Kinder und ihre (religiöse) Erziehung im Islam und gibt dadurch einen wertvollen Einblick in moslemisches Denken. So zeigt Schirrmacher auf, dass der Islam grundsätzlich davon ausgeht, dass Säuglinge und Kleinkinder zunächst einmal unschuldig sind und „nichts Böses kennen und wollen" (S. 81f)- Schrittweise werden die Kinder dann, wenn sie älter werden, in die praktizierte Religion hinein genommen. Dabei geschieht Erziehung sowohl in den Koranschulen als auch in den säkularen Schulen in den meisten moslemischen Ländern durch Wiederholen und Auswendiglernen (S. 83). Schirrmacher erläutert, dass diese Lernmethode ihre Wurzel letztlich im Gottesbild des Islam hat: „Gott muß nach islamischer Auffassung nicht verstanden, sondern vor allem angebetet werden." (S. 83). Dabei erstreckt sich die Einbeziehung Gottes in der Erziehung auf alle Bereiche. Auch die Erziehung für die spätere Rolle als Mann oder Frau hat ihren Platz innerhalb der religiösen Erziehung (S. 84).
Neben diesen Hauptbeiträgen des Buches finden sich noch eine ganze Reihe weiterer pädagogisch-theologischer Artikel. Sie im Einzelnen aufzuzählen oder
gar inhaltlich darzustellen, würde den Rahmen einer Rezension bei weitem übersteigen. Das Gleiche gilt auch für den Versuch, eine Wertung des Gesamtwerkes zu erstellen. Die Artikel unterscheiden sich nicht nur im Blick auf ihre Ausrichtung und ihren theologischen Gehalt, sondern auch im Blick auf ihre Wissenschaftlichkeit sehr voneinander. Dies ist zwar im Grunde zu erwarten bei einem Sammelband bzw. einer Festschrift, scheint aber für das vorliegende Werk in besonderem Maße zu gelten. Insgesamt handelt es sich jedoch um ein interessantes und sehr vielfältiges Buch mit einer bemerkenswert persönlichen Note.
Hans-Georg Wünch