Neue Zürcher Zeitung: „Hitlers Religion: Eine Studie von Thomas Schirrmacher“ (Rezension)

Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn
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Neue Zürcher Zeitung: „Hitlers Religion: Eine Studie von Thomas Schirrmacher“ (Rezension) - Neue Zürcher Zeitung: „Hitlers Religion: Eine Studie von Thomas Schirrmacher“

Hitler, ein frommer Mann? Da schaudert es manchen Gottesfürchtigen, doch genau das ist die These Thomas Schirrmachers, eines reformierten Theologen, der dem evangelikalen Christentum nahesteht. Er hat Tausende von Aussagen Hitlers zum Thema Religion dokumentiert und sieht deren Kern in einer sozialdarwinistischen Frömmigkeit, in der ein «Herrgott» oder die «Vorsehung» oder ein «Allmächtiger» den Starken helfe und die Schwachen untergehen lasse. Diese Deutung klingt banal, aber angesichts überdehnter religionshistorischer Theorien (wie etwa Eric Voegelins Interpretation des Nationalsozialismus als Gnosis) oder abstruser Vorstellungen (Hitler als Eingeweihter okkulter völkischer Zirkel) stellt der Autor unser Wissen über Hitlers Glauben auf eine solide Basis.

Schirrmachers Folgerung, dass Hitlers Politik von dessen religiösen Vorstellungen mitgeprägt sei, ist plausibel: Kampf war für den Sozialdarwinisten Hitler der politische Normalzustand, Friede galt ihm als die Fortsetzung des Krieges mit den Waffen der Schwachen. Der Zweite Weltkrieg sei deshalb, so Schirrmachers These, unvermeidbar gewesen. Weniger überzeugend ist die religionshistorische Einordnung der Hitlerschen Gespinste.

Schirrmacher schreibt Hitler einen eigenständigen Religionsentwurf zu, mit dem der Diktator die Absicht verknüpft habe, die Christentumsgeschichte «rein zu halten». Aber er dementiert seine These selbst, wenn er Hitlers Frömmigkeit – zutreffend – dem weiten Feld der völkischen Religiosität zuordnet, die im Kern ein Segment protestantischer Religiosität war. Oder: Er sieht zwar Hitlers Distanz zu einigen protestantischen Gnadenlehren, realisiert aber nicht, dass Hitlers «Theologie» – Handeln mit göttlicher Hilfe – den kooperativen Konzepten der christlichen Gnadenlehren nahesteht.

Auch Hitlers messianisches Selbstverständnis ist ohne die jüdisch-christliche Tradition undenkbar. Seine Überzeugung, der «Allmächtige» habe ihn «auserwählt», das neue «Reich» zu bringen, war ein Säkularisat des messianischen Denkens – und eine Erbschaft, die Hitler sicher unbewusst und gegen die Intentionen der jüdisch-christlichen Tradition angetreten hat. Des «Führers» Glaube, damit haben wir uns abzufinden, ist ein Teil der europäischen Religionsgeschichte und gar kein besonders fremder. In Deutschland tut man sich im Übrigen schwer, dazu die Quellen zugänglich zu machen: Da Hitlers rassistische Äusserungen weiterhin einem Druckverbot unterliegen, werden sie in Schirrmachers «Zitatband» durch Paraphrasen ersetzt.

Thomas Schirrmacher: Hitlers Kriegsreligion. Die Verankerung der Weltanschauung Hitlers in seiner religiösen Begrifflichkeit und seinem Gottesbild. Bd. 1: Textband, Bd. 2: Zitatband. Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn 2007. 1220 S.

Quelle: https://www.nzz.ch/hitlers_religion-ld.446465

Auf VKWOnline: https://vkwonline.com/Hitlers-Kriegsreligion


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