Thomas Schirrmacher. Galilei-Legenden und andere Beiträge zu Schöpfungsforschung, Evolutionskritik und Chronologie der Kulturgeschichte 1979-1994. Biblia et symbiotica 12. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 1996. 331 S. Pb.
Der Prozeß gegen Galileo Galilei im 17. Jahrhundert muß immer wieder als Argument gegen kreationistische Wissenschaftler herhalten, die ihren Glauben an die Zuverlässigkeit der Bibel zum Ausgangspunkt für ihre wissenschaftliche Forschung machen. Der Glaube macht blind für wissenschaftliche Fortschritte und hindert die Wissenschaft, heißt es dabei unausgesprochen. Das Bild vom Prozeß des Vatikan gegen Galileo Galilei, das dabei im Hintergrund steht, hält der historischen Forschung nicht stand. Zu viele Legenden müssen das Bild vom Kampf zwischen der ach so engstirnigen christlichen Kirche und dem ach so genialen und rationalen Naturwissenschaftler stützen. In 16 Thesen weist Thomas Schirrmacher im Titelbeitrag seines neuesten Buches nach, daß der Streit zwischen Galilei und Papst vor allem eine persönliche Auseinandersetzung war, war der Papst selbst doch zunächst ein glühender Anhänger Galileis bis dieser ihn in seiner Eitelkeit kränkte. Zu dieser Zeit lehrte der größere Teil der kirchlichen Naturwissenschaftler längst nicht mehr, daß die Sonne sich um die Erde drehe. Im übrigen ist es unumstritten, daß Galilei zeitlebens nie einen Beweis für seine Sicht erbrachte, auch wenn ihm die Legende noch so viele andichtet.
Thomas Schirrmacher, promovierter Theologe (Kampen) und Kulturanthropologe (Los Angeles) und u. a. Professor am Philadelphia Theological Seminary, kam schon als Gymnasiast mit der damals noch 'Kreationismus' genannten Schöpfungsforschung in Berührung und hielt seine ersten Vorträge zur Thematik. Sein erster hier abgedruckter Artikel erschien in seiner Studentenzeit 1979 im 'Creation Research Society Quarterly' ("Musik: Evolution oder Schöpfung?). Seitdem hat sich Schirrmacher 25 Jahre lang kontinuierlich vor allem im Rahmen des Bibelbundes, der Studiengemeinschaft 'Wort und Wissen', an Ausbildungsstätten und in evangelikalen Zeitschriften zu kreationistischen Themen geäußert. Die meisten hier abgedruckten Beiträge sind zuerst in den Zeitschriften 'Factum' und 'Bibel und Gemeinde' oder aber als Abschnitte anderer Bücher des Autors erschienen. Eine Reihe umfangreichere Beiträge wie der Titelbeitrag sind bearbeitet und auf den neusten Stand gebracht worden, die meisten Beiträge jedoch bewußt unverändert so aufgenommen worden, wie sie seinerzeit verfaßt wurden, auch um die Entwicklung der Schöpfungsforschung ein Stück weit mit zu dokumentieren.
Schirrmachers Schwerpunkte sind die biblischen Exegese (z. B. "Gibt es zwei sich widersprechende Schöpfungsberichte?", "Zur Entstehung der Genesis"), die ethischen Konsequenzen der Evolutionstheorie (z. B. "Die Bedeutung von Schöpfung und Evolutionstheorie für die Ethik"), Ethnologie und Kulturanthropologie (z. B. "Urzeitmythen afrikanischer Völker", "Antike Sintflutsagen") und die Notwendigkeit einer alternativen Chronologie der Kulturgeschichte (z. B. "Das biblische Alter der Erde", "Das Verhältnis der ägyptischen zur israelitischen Chronologie").
Seinem früh ausgesprochenen Anliegen, den 'Kreationismus' aus dem Bereich der Naturwissenschaften heraus in alle - auch die geisteswissenschaftlichen - Fachgebiete auszuweiten, wird heute in der deutschen Schöpfungsforschung allgemein entsprochen. Überhaupt läßt sich an vielen Kommentaren, mit denen Schirrmacher das Wachstum der kreationistischen Bewegung begleitet hat (z. B. "Kreationisten unter sich", vgl. "Geschichte des deutschsprachigen Kreationismus") und deren Kritik heute - sicher nicht nur wegen seines Wirkens - entsprochen wird, ablesen, wieviel die Bewegung der Schöpfungsforschung in Deutschland im Laufe der Jahre dazugelernt hat. Das läßt für die Zukunft hoffen.
Dr. Carsten Hobohm